Auf dem Sebaldweg über den Albsteigtobel bis Wertach

Die Allgäuer Tobeltouren gehen weiter, heute aber einmal ein wenig anders: Auf einer Geschichts- und Literaturreise sozusagen. Wir folgen der Erzählung Winfried Georg Sebalds „Ritorno in Patria“, in der er seine Leser auf seine Reise und Wanderschaft in seinen Geburtsort Wertach mitnimmt. Seine Wanderung soll im November 1987 stattgefunden haben und so haben wir neben der eigentlichen Wanderung auch noch eine geschichtliche Komponente, die es zu entdecken gibt. Sebald selbst reiste mit dem Zug nach Innsbruck und fuhr von dort mit dem Bus bis zum Zollhaus bei Oberjoch, um von dort seine Wanderung über den Albsteigtobel nach Wertach zu starten. Wir reisen hingegen über Sonthofen und Oberjoch an und starten dort unsere Tour auf diesem geschichtsträchtigen Weg und Tobel.

Inhalt

Entgegen der Erzählung Sebalds starten wir unsere Tour im Sommer, wenn der Himmel klar und die Vegetation üppig ist. So haben wir auf dem Weg auch noch einiges für das Auge und die innere Zufriedenheit, was an einem kalten, grauen Novembertag sicher anders aussähe. Insofern sind natürlich einige Beschreibungen aus dem Buch nicht mit unserem Eindruck vergleichbar. Dennoch ist es erstaunlich, wie viel seit den nunmehr mehr als 35 Jahren auf dieser Strecke unverändert blieb. Unregelmäßig verteilte Stelen entlang des Weges zeigen Ausschnitte aus seinem Text, sodass man auch ohne das Buch zu kennen, seine Erlebnisse während der Wanderung erfährt. Wer möchte kann diese Tour mit einer der Tobeltouren von Bad Hindelang kombinieren (Wildbach– oder Hirschbachtobel) und auch am Endpunkt gibt es z.B. mit der Reuterwanne und dem Grüntensee genug anderes zu entdecken.

Routenüberblick

Startpunkt ist die Bushhaltestelle Oberjoch Iselerbahn, die mit dem Bus von Sonthofen (teilweise mit Umstieg in Bad Hindelang) erreicht werden kann. Von dort geht es fast 15 km zunächst in Richtung Schattwald in Österreich, dann kurz vor der Grenze über den Albsteigtobel hinab nach Unterjoch und weiter folgend an der Wertach vorbei an den Sorg Alpen bis zu Sebalds Geburtsort Wertach. Insgesamt sind mindestens 3,5 Stunden für diese ausgedehnte Wanderung einzuplanen, wobei trotz des Tobelabschnitts einfaches Schuhwerk absolut ausreicht. In Wertach selbst kann dann die Rückreise über Oy und die Zugstrecke von Reutte nach Kempten erfolgen; oder man tut es dem Autor gleich und übernachtet dort. Hier seht Ihr noch einmal alle Fakten

Sebaldweg (Download Route)

Draußen tut gut!-Symbol Start-/Zielort RouteOberjoch
Wertach
Draußen tut gut!-Symbol ÖPNV-Anschluss RouteRegionalbahn & Bus
Draußen14,5 km
Draußen tut gut!-Symbol Zeitbedarf Route3,5 - 4 Stunden
Draußen tut gut!-Symbol Höhendifferenz Route⬈ 204 Hm
⬊ 463 Hm

Und hier gibt es den Wegesverlauf, der zu Ehren W.G. Sebalds als Wanderweg eingerichtet und beschildert wurde:

Von Oberjoch über den Albsteigtobel nach Krummenbach

Vom Busbahnsteig in Oberjoch halten wir uns ostwärts und folgen der Bundesstraße nach Tirol. Vorbei geht es an der Moorhütte direkt am Moorbad, das wir schon bei der Tour durch den Hirschbachtobel erkundet haben, und den mittlerweile riesigen Liftanlagen, die früher nur einfache Schlepplifte waren. Direkt neben der vielbefahrenen Straße laufen wir bis zum zweiten Sessellift (Wiedhanglift), der auch im Sommer in Betrieb ist, um Gipfelstürmern den Aufstieg zum Kühgund oder Iseler ein wenig zu erleichtern. Wir passieren, immer noch auf der Bundesstraße, den Campingplatz zwischen zwei kleineren Bergbächen, und erreichen dann den Grenzwieslift, der auch vom Postbus von Oberjoch in Richtung Reutte angesteuert wird.

Hier können wir von der Straße weg auf einen Feldweg einbiegen, der uns wie der Name des Liftes sagt, auf die Wiesen an der Grenze zu Österreich führt. Bis zur Umsetzung des Schengen Abkommens war hier noch eine feste Grenze mit Grenzkontrollen, die in früheren Zeiten zu Verfolgungsjagden zwischen Grenzbeamten und Schmugglern (bepackt mit Genussmitteln wie Tabak und Alkohol) führten. Heutzutage kann man Diese auf dem etwas höher gelegenen sog. Schmugglersteig nachspielen. Wir laufen eine leichte Anhöhe hinauf und gelangen 2,5 Kilometer nach unserem Start an das ehemalige Zollhaus, das inzwischen keine Funktion mehr hat.

Das alte Zollhaus Oberjoch an der deutsch-österreichischen Staatsgrenze ist der Startpunkt des Sebaldwegs
Hier am Zollhaus startet die Wanderung Sebalds nach Wertach

Hier startete Sebald seine Wanderung mit folgenden Worten:

Das Wetter hatte inzwischen wieder umgeschlagen. Eine dunkle, ins Schwarzfarbene
übergehende Wolkendecke lag über dem ganzen Tannheimer Tal, das einen niedergedrückten, lichtlosen und gottverlassenen Eindruck machte. Nirgends rührte sich das geringste. Nicht einmal ein einziges Automobil war zu sehen auf der weit hinten in der Tiefe des Tals sich verlierenden Strecke. Auf der einen Seite stiegen die Berge in den Nebel hinein, auf der anderen dehnte sich eine nasse Moorwiese, und dahinter erhob sich
aus dem Vilsgrund herauf der kegelförmige, aus nichts als aus schwarzblauen Fichten bestehende Pfrontner Wald.

W.G. Sebald „Ritorno in Patria“

Definitiv geändert hat sich die Gottverlassenheit dieses Ortes. Mittlerweile fahren hier durchgehend Autos, auch einige Radler sind unterwegs und mit besserem Wetter wirkt jede Region sowieso gleich freundlicher. Dennoch kann man sich auch heute gut vorstellen, wie es damals gewirkt haben muss; die Landschaft und Bebauung blieb nämlich weitgehend unverändert und ohne Autos und Freizeitverkehr ist hier wirklich der Hund begraben.

Von nun an auf Sebalds Spuren wandelnd geht es zunächst hinter dem Zollhaus in den Albsteigtobel. Anders als seine verwandten Tobel, die ich bereits besucht hatte, ist dieser Tobel relativ flach und der Weg auch ziemlich breit. Dazu kommt üppige Vegetation, die allerdings nicht wie in Sebalds Erzählung so von dicht stehenden Fichten geprägt ist, dass der ganze Tobel ins schwarz getaucht würde. Einige Stürme und evtl. auch menschliche Eingriffe haben dafür gesorgt, dass ausreichend Licht auf den Weg und Weissenbach fällt.

Abstieg vom Zollhaus Oberjoch durch den Albsteigtobel nach Krummenbach
Im Albsteigtobel nach Krummenbach

Trotz der geringen Steigung bildet der Weissenbach doch an einigen Stellen kleine Wasserfälle aus, sodass im Gegensatz zum Erlebnis Sebalds ein Entspannungs- statt Beklommenheitsgefühl entsteht.

Kleiner Wasserfall am Weissenbach im Albsteigtobel auf dem Weg nach Krummenbach
Kleine Wasserfälle im Albsteigtobel

Fast gleich geblieben ist hingegen die Ruhe, die hier herrscht, bis auf das Plätschern des Wassers hört man tiefer drin im Tobel nur leises Autorauschen von der Straße.

Eine gute Stunde nach Start in Oberjoch haben wir dann auch das Ende des Tobels erreicht und treten hinaus auf die Wiesenfläche rund um die Häuseransammlung Krummenbach, die mit ihrer kleinen Kapelle ebenfalls Erwähnung in der Erzählung fand und mit einer Stele versehen ist.

Die Kapelle von Krummenbach vor dem Zinken-Massiv wurde schon in Sebalds Erzählung erwähnt.
Die Krummenbacher Kapelle vor dem Zinken-Massiv

Durch das kleine Unterjoch bis zu den Sorg Alpen

Die Bergkette vom Sorgschrofen und Zinken am Horizont werden wir nun in der nächsten Stunde umrunden. Berghungrige können auch über die Bergkette gehen (das sind dann 2 Stunden zusätzlicher Weg). Wir folgen dem kleinen Weissenbach an der Kapelle und den 3 Pensionen und Hof vorbei zum Sonnenhang und weiter hinein in den Ort Unterjoch. Dabei liegt auf unserem Weg ein weiterer kleiner Wasserfall dieses mittlerweile 1 Meter breiten Gewässers, der vom Ort in eine kleine „Kurlandschaft“ mit Kneipp-Bad integriert wurde:

Auf dem Sebaldweg kommen wir auch am Wasserfall des Weissenbach in Unterjoch vorbei
Weiter bachabwärts folgt dann der Wasserfall in Unterjoch

Der Hirschwirt aus Sebalds Geschichte existiert leider nicht mehr, dafür ist das zu früheren Zeiten recht kleine Hotel Krone mittlerweile zu einem wahren Resort angewachsen; die zahlreichen Autos davor lassen vermuten, dass es beliebt ist. Eine Einkehrmöglichkeit gibt es aber leider nicht mehr und so geht hinter dem Hotel neben dem Bach hinaus aus dem Ort auf die Heuwiesen. Relativ nah an der Bundesstraße, die aus der früheren Reichsstraße hervorging, halten wir uns jetzt auf einem breiten asphaltierten Fahrradweg nach Nordosten und folgen den Schildern in Richtung Sorgalpen.

Auf dem Sebaldweg zwischen Unterjoch und den Sorgalpen
Breiter Sebaldweg zwischen Unterjoch und Sorgalpen

Diese Verbindung, kann ich mir gut vorstellen, sah 1987 noch ganz anders aus. Gerade bei gutem Wetter ist diese Strecke mehr oder weniger eine Rennstrecke für Pedelec-Fahrer, sodass von Ruhe wenig zu spüren ist. An der nächsten Weggabelung halten wir uns links und laufen in Richtung vordere Sorgalpe – die hintere liegt rechterhand etwas weiter erhöht. Hier gibt es für müde Beine eine Stärkung und auch ein wenig Bilderbuch-Allgäu-Feeling mit wiederkäuenden Kühen auf den Wiesen dahinter:

Kühe auf der Wiese bei der unteren Sorgalpe auf dem Sebaldweg
Bei der Sorgalpe treffen wir diese gemütlichen Zeitgenossinnen.

Weiter entlang der Wertach vorbei an der Pfeiffermühle nach Wertach

Mittlerweile haben wir das Bergmassiv des Zinken umrundet und gelangen nun auf unserem weiteren Weg in ein Waldgebiet, das allerdings schon wieder auf österreichischem Gebiet liegt und zur Enklave Jungholz gehört. Sebalds Wanderung dürfte etwas weiter westlich durch die Pfeiffermühle verlaufen sein, sonst hätte er hier wieder eine Grenzkontrolle über sich ergehen lassen müssen. Mir ist schleierhaft, wie ein Landstrich wie Jungholz, der komplett von Deutschland umschlossen und auch nur von dort erreichbar ist, über so viele Jahrzehnte zu einem anderen Land gehören konnte ohne, dass es von Deutschland einverleibt wurde.

Auf dem Sebaldweg folgt hinter der Sorgalpe ein längerer sehr hügeliger Waldabschnitt
Idyllischer Waldabschnitt auf dem Weg zum Campingplatz

Wir queren die Verbindungsstraße zwischen Jungholz und der Pfeiffermühle und laufen weiter im hügeligen Wald zum nahen Campingplatz. Bis wir dort ankommen muss allerdings noch ein ziemliches steiles Wegstück überwunden werden: erst nach unten, dann wieder bergauf. Für Radfahrer eine ziemliche Herausforderung bei dem Split auf dem Weg. Der Campingplatz markiert zugleich wieder das Ende unseres kurzen Besuchs in Österreich. Auch das Waldstück endet hier und wir treten hinaus auf die zweite Verbindungsstraße nach Jungholz, die uns wieder durch Weiden weiter nördlich führt. Ein letzter Blick zurück zeigt das Bergmassiv um den Zinken/Sorgschrofen, das bis jetzt unser Begleiter war:

Blick auf den Sorgschrofen vom Sebaldweg unweit der Pfeiffermühle
Letzter Blick auf den umrundeten Sorgschrofen

Wir erreichen wieder die Bundesstraße und den Wandererparkplatz, wo uns wieder eine Stele mit Infos zum Autor erwartet. Von diesem Parkplatz zweigt eine steile Bergstraße hoch zum Alpenhof Reuterwanne ab, von wo man dann zu Fuß über die Alpe Reuterwanne auf die Reuterwanne gelangt. Wir müssen nun durch das von Sebald erwähnte „Enge Plätt“ zwischen Bergflanken und Wertach neben der in den Fels gesprengten Bundesstraße auf einer kleinen Asphaltpiste laufen. Immerhin die Wertach bietet einen schönen Anblick in dieser lauten, von Autos dominierten Umgebung.

Die Wertach unweit des gleichnamigen Zielortes des Sebaldwegs
Der Fluss Wertach auf seinem Weg in den gleichnamigen Geburtsort Sebalds

Nach 10 Minuten erreichen wir das große Sägewerk direkt gegenüber eines Steinbruchs und können von dem kleinen Fußgängerweg neben der Bundesstraße auf die alte Bundesstraße wechseln, die uns direkt zum Ort führt. Noch einmal geht es über Wiesen neben der Wertach, die kleinere Schleifen ausgebildet hat, bis wir die etwas zu groß geratene Kreuzung der Ortsumgehung unterqueren und auf Höhe des Wertacher Freibads den Ort erreichen. Auf der Alpenstraße folgen die letzten Hundert Meter in den Ort, über die Wertacher Starzlach und an zahlreichen Neubauten vorbei, bis das Rathaus erreicht ist.

Sebald schien sehr mit seinem Heimatort und dessen unfreundlicher Bevölkerung zu hadern, zumindest jetzt ist davon nicht direkt etwas zu merken. Leider hat der Gasthof Engel, in dem er seiner Erzählung nach übernachtete und der auch als üble Kascheme seine Kindheit mitprägte, schon seit Jahren geschlossen; dennoch das Gebäude existiert noch und kann zumindest von außen angesehen werden. Für uns endet diese lange und geschichtsträchtige Tour hier. Wer nicht bleiben möchte, findet bei der Tourismus-Information die Bushaltestelle für Verbindungen nach Oy-Mittelberg oder auch zurück nach Oberjoch.

In diesem Sinne

Unsere heutige Tour durch den Albsteigtobel unterscheidet sich nicht nur durch den relativ kurzen und flachen Tobelabschnitt von allen bisherigen Tobeltouren, sondern auch durch ihre Bekanntheit durch die Erzählung W.G. Sebalds. Mehr oder weniger auf Schritt und Tritt folgen wir dem Autor zu Fuß bis zu seinem Heimatort in Wertach und durchwandern dabei neben einem Tobel auch saftige Heuwiesen mit zufrieden wirkenden Kühen. Zusätzlich bildet das Bergmassiv um den Zinken & Sorgschrofen eine bezaubernede Hintergrundkulisse bei gutem Wetter. Die von Sebald beschriebene enge und drückende bzw. gedrückte Stimmung der Landschaft und Bevölkerung dieser ehemals armen Region ist nicht mehr zu spüren. Ganz im Gegenteil, alles wirkt relativ modern und für Touristen hergerichtet. Insgesamt eine schöne tagesfüllende Tour, die einen zusammen mit den auf Stelen präsentierten Textpassagen auch immer wieder zwischen Vergangenheit und Jetzt wechseln lässt.

Schreibe einen Kommentar

Cookie Consent mit Real Cookie Banner